Eine Freundin erzählte mir jüngst von einer jungen Frau, die ein volles Studium absolvierte, mit Nebenjobs und dementsprechendem Stress, um sich anschließend jahrelang in einer Führungsposition mit viel Verantwortung und wenig Freizeit wiederzufinden. In dieser Tretmühle hatte sie einige Jahre ausgehalten, um bald zu merken, dass es so nicht mehr weitergehe. Kurzerhand kündigte sie den Job, setzte mit „nichts“ auf Gomera über und begann dort eine Karriere als Tellerwäscherin. Fünf Stunden am Tag Tellerwaschen, um Kost und Logis zu bekommen. Den Rest der Tage hält sie sich am Strand auf. Oder so.
Diese Geschichte weckt ungeahnte Aggressionen in mir. Nein, nicht weil diese Frau ihr Glück gefunden zu haben scheint. Sondern weil solche Geschichten oftmals als erstrebenswert angesehen werden. Aussteigen und frei von allem zu sein. Und so schwer sei es doch gar nicht, wird zwar nicht ausgesprochen, aber doch impliziert.
Nein?
Aussteigen zu können ist eine Art von Luxus. Man muss vorher irgendwo „drin“ gewesen sein, um aussteigen zu können. Man muss eine Sättigungsgrenze erreicht haben, um nicht mehr Teil sein zu wollen. Man braucht zumindest das nötige Kleingeld für den Flug, das auch vorhanden sein sollte. Da fängt es schon an. Materielle Möglichkeiten und Teilhabe – die meisten Menschen müssen zuviel davon geschmeckt haben, um aussteigen zu wollen. Oder sie fliehen- vor schlechten Erfahrungen, vor dunklen Schatten. Doch dieses wird selten strahlend golden dargestellt.
Ich zweifelte das Ideale an der Geschichte an. Womöglich, weil ich noch zu wenig von dem geschmeckt habe, was diese junge Frau tagein tagaus irgendwann als „normal“ erachtet hat. Ja, ich habe materielle Wünsche, die ich mir hart erarbeiten werde, wenn man mich denn auch mal am Arbeitsmarkt und somit am gesellschaftlichen Leben teilhaben lässt.
Möglicherweise macht genau das mich noch ein Stück wütender: ich will (nur teilweise), was diese junge Frau hatte und sie.. sie schmeißt es einfach so weg. Ich bin an diesem Punkt definitiv noch nicht angelangt. Aber ich respektiere ihre Entscheidung in jedem Fall, kann sie auch ansatzweise nachvollziehen. Jedoch keineswegs emotional. Vor allem im Moment.
„Wovor hast du Angst?“ fragte meine Freundin mich. Wenn man es versuche, komme man doch danach nur wieder an den Ausgangspunkt zurück. Nun, liebe Freundin, da wäre ich mir ja gar nicht so sicher. Mein Ausgangspunkt ist nicht mit Kaviar gebettet, aber ich habe einen Platz zum Leben mit dem Mann, den ich liebe und leide nie Hunger, habe genügend anzuziehen, Internetzugang und Telefon, ein Fahrrad und Heizung. (An den restlichen Dingen lässt sich noch feilen, aber das spielt hierfür keine Rolle). Wenn ich gehe, muss ich meine Wohnung aufgeben. „Was kostet es denn schon eine Wohnung zu erhalten?“ antwortet sie. „Oder man kann die Sachen irgendwo unterstellen. Man hat doch sowieso viel zu viel.“ Ich gebe es auf. Es gibt keine gemeinsame Basis, auf der wir wie auch immer diskutieren könnten. Unsere Lebensvoraussetzungen gehen zu weit auseinander.
Ich bleibe dabei: auszusteigen, zu rebellieren, sich etwas einzufordern (wenn man zuviel Grundsätzliches zu verlieren hat, was man sich sowieso schon zusammen“gestückelt“ hat) kann ein zu hohes Luxusgut sein.